Dieser Artikel erschien im Vorarlberger KirchenBlatt vom 19. Jänner 2017
Sonntagvormittag, Familiengottesdienst in der Pfarre Rohrbach. Wie so oft laufen die Kinder beim Vater unser hoch zum Altar, stellen sich im Kreis auf und singen das Gebet - nicht nur mit Mund und Herz, sondern auch mit Händen. Dabei fällt auf, dass die Bewegungen anders sind als sonst, sie scheinen kraftvoller und sprechender. Bei „Wille“ klopft die Faust quasi auf den Tisch, bei „Brot“ werden Scheiben geschnitten, bei „Name“ fahren Zeigefinger und Daumen über die Stirn. Ja, hier kreieren die Hände Bilder und vertiefen damit die Worte. Oder erschließen sie neu.
Vereinfachte Gebärdensprache.
Die Handbewegungen sind Gebärden. Sie stammen aus der deutschen Gebärdensammlung „Schau doch meine Hände an“, die vor vielen Jahren vom Bundesverband evangelische Behindertenhilfe herausgegeben wurde. Diese Form der gebärdenunterstützten Kommunikation wurde damals für Menschen mit Beeinträchtigung entwickelt. Sie ist einfacher als die offizielle Gebärdensprache, sie beinhaltet keine Grammatik, nicht alle Wörter werden in Gebärden übersetzt, lediglich Signalwörter. Diese Gebärdensammlung wird auch vom Netzwerk Unterstützte Kommunikation Vorarlberg für Menschen mit und ohne Handicaps empfohlen.
Anderer Zugang.
Antonette Schwärzler verwendet die Gebärden aus dieser Sammlung in ihrer Tätigkeit als Sonderpädagogin schon jahrelang. Besonders bei Gedichten und Liedern kommen sie zum Einsatz, aber auch biblische Aussprüche oder Glaubenssätze bleiben in Kombination mit Gebärden besser im Gedächtnis, werden vielfach wohl auch besser verstanden. Deshalb sind die Gebärden für alle eine Hilfe, nicht nur für jene, die begrenzt oder gar nicht sprechen können.
Glaubenssprache.
Da die Gebärdensammlung von der Evangelischen Behindertenhilfe herausgegeben wurde, gibt es auch für viele religiöse Begriffe Übersetzungsmöglichkeiten. Das Wort „Gott“ zum Beispiel wird mit drei Fingern angezeigt, die nach oben zeigen. „Ein muslimischer Schüler hat diese Gebärde für seinen Glauben verändert“, erzählt Schwärzler. „Er hält nur einen Finger hoch.“ So kann die Sprache gegebenenfalls adaptiert werden. Sollte es einmal keine Gebärde geben, muss selbst eine kreiert werden. Wichtig ist, dass sie dann von allen verstanden wird und für alle gilt.
Wirkungsvoll.
Die einheitliche Bewegungssprache war auch der Grund dafür, dass die Gebärden im Rohrbach Einzug hielten. „Im Religionsunterricht und in den Pfarren des Seelsorgeraums Dornbirn werden beim ‚Vater unser‘ teilweise unterschiedliche Bewegungen ausgeführt“, erklärt Schwärzler. „So wurde bei uns im Rohrbach im Kinderliturgie-Team der Wunsch nach einheitlichen Bewegungen geäußert.“ Eine Vorlage dafür fand sich auf der Website „Schau doch meine Hände an“. Das Team „kürzte“ diese, damit das Lied gut zu singen ist und begann im Herbst, die neuen Bewegungen mit der Gemeinde einzuüben. „Es machen zwar wenig Erwachsene in den Bänken mit, aber auch das Zuschauen hat eine Wirkung“, erzählt die engagierte Liturgin. Das Feedback war bis jetzt sehr positiv.
Für ganz Dornbirn. Mittlerweile können die Gebärden sogar über eine App abgerufen werden - wie Vokabeln. Das erleichtert den Einsatz natürlich ungemein, denn das Smartphone liegt ja immer bereit. In den kommenden Monaten will Schwärzler die Bewegungen fürs „Vater unser“ weitergeben an andere Kinderliturgie-Verantwortliche in Dornbirn. Irgendwann wird dann vielleicht im gesamten Seelsorgeraum das „Vater unser“ mit diesen Gebärden gesungen. Die Kinder sind jedenfalls mit großer Aufmerksamkeit und Wachheit mit dabei - und lernen schnell. Wer das Gebet in dieser Form einmal erleben und mitbeten möchte, hat dazu Gelegenheit: Jeden dritten Sonntag im Monat um 10.30 Uhr in der Pfarrkirche St. Christoph.
Mehr zur Gebärdensammlung unter www.schau-doch-meine-haende-an.de